27 Januar 2018

Der Werkstoff Aluminium

Mit 16, als Aushilfe in der Fahrradwerkstatt des Kaufhauses Hertie, fand ich Alufahrräder gar nicht so übel;  gerade die viel geschmähten Alurenner aus dem Hause Kettler gefallen mir noch immer.

Was mir nicht gefällt, ist wie Bauxit in den Jahren der deutschen Nazidiktatur abgebaut wurde. Wenn dann eine Firma wie Rimowa damit protzt, dass sie schon ab 1936 Alukoffer gebaut hat, finde ich das eher unappetitlich.

Immerhin: Der Rimowa-Marketingleiter schrieb mir am 25. Januar 2017 in Antwort auf meinen Hinweis, dass es mich nicht wundern würde, wenn beträchtliche Mengen des Aluminiums für Rimowa-Koffer aus den Hütten kamen, die später auch die Nazi-Kriegsindustrie bedienten:
Sehr geehrter Herr [...] 
Wir bedanken uns für Ihren konstruktiven Hinweis und möchten Ihnen versichern, dass wir aktuell mit viel Sorgfalt und Gewissenhaftigkeit unsere Unternehmensgeschichte aufbereiten.
Erkenntnisse aus dieser Untersuchung werden wir selbstverständlich in zukünftiger Kommunikation berücksichtigen.
In diesem Jahr feiern wir uns 120-jähriges Firmenjubiläum. Die Feier dieses Jubiläums wird entsprechend unsere aktuelle Aluminiumkampagne zeitnah ablösen.
Für weitere Rückfragen oder Anmerkungen stehe ich Ihnen gerne zur Verfügung. 
Beste Grüße aus Köln
Christof Hildebrand, Head of Marketing
P +49-221-956417-187
RIMOWA GmbH
Richard-Byrd-Str. 13
50829 Köln

21 Januar 2018

Vollpratsche und Strampelnazis

Ist der Mann noch recht bei Trost? Der gequält auf satirisch getrimmte Ton des Artikels von Peter Richter in der Süddeutschen Zeitung Nr.10/2018 (und im Tagesanzeiger) ärgert mich, weil er argumentativ so plump ist, jedoch so tut, als käme er von einem großen Geistesstreiter, beleckt und belesen in allen Künsten. So müssen Malerei, Filmkunst und Literatur dafür herhalten, dass Richter seine Städte offensichtlich laut mag, gerne auch mit reichlich Autoverkehr, der vor allem auch nachts brausen sollte, denn sonst wird es "beklemmend" in der Stadt. Mag sein, dass der ein oder andere Mitmensch die Abwesenheit von Autos als beklemmend empfindet, doch Herr Richter vergisst dabei, dass es durchaus auch Menschen gibt, die in der Stadt wohnen und nachts schlafen möchten, und das geht ohne Autolärm deutlich besser.

Plump nicht nur die Argumente, plump auch die Stilmittel. Rationale Argumentationsansätze, etwa das durchaus vernünftige Fahrradfahren in der Stadt oder die Einrichtung autofreier Zonen, überzeichnet er ins Groteske, um sie so bequem ins Lächerliche ziehen zu können. Dieser literarische Taschenspielertrick funktioniert freilich nur, wenn in der Überzeichnung noch wenigstens ein Funken der kritisierten Realität auszumachen ist. Doch bei Richter gibt es nur frei erfundene Albernheiten, in denen Berliner Fahrradfahrer als "Strampelnazis" auftauchen, die sich zu "Radfahrerschwärmen" zusammenschlössen, wie man sie einst aus "Hanoi oder Saigon" gekannt habe, wohingegen Berliner vietnamesischer Abstammung, so Richter, lieber mit Audi, BMW oder Benz durch die Straßen sausten. Ha, selten so nicht gelacht, toller Vietnamesenwitz.

Weder gibt es in Berlin Fahrradschwärme noch fallen vietnamesische Gastronomen durch teure Autos auf. Selbst der Verweis auf Kästner in den 20er Jahren und dessen Caféhaus-Autobewunderung gerät zum Fehlgriff, denn vor rund hundert Jahren dürften wohl kaum, so wie heute, 1.2 Millionen Pkw die Berliner Straßen belebt haben. (In ganz Deutschland fuhren 1925 keine 100 000 Pkw.)

Kein vernünftiger Mensch würde sich beschweren, wenn Autos plötzlich verschwunden wären. Keiner außer Herrn Richter litte an Beklemmungen. Niemand hat etwas gegen die "Verfußgängerzonung der Großstädte". Autos aus der Stadt zu halten, hat nichts mit der Verkehrspolitik in den "linken Rathäusern von Berlin, Paris und Madrid" zu tun, sondern ist einfach nur vernünftig. Autofahren ist ein Privileg, und es wäre schön, wenn es wieder als solches behandelt würde, mit all seinen wunderbaren Folgen. Deutschland 2025 mit 100 000 Autos, davon maximal 5 000 in Berlin, das wäre eine feine Sache.

20 Januar 2018

Polster reicht

Einfach bleiben lassen. Nicht wie ein Clown in Acryl, Lycra, Polyester und Nylon auf einem bunten Witzrad sitzen. Plastik, wohin das Auge schaut. Der einzige der darüber lacht, ist der Händler bzw. der Hersteller, der dir den ganzen Pröll für Tausende von Euros angedreht hat — von dir mit Plastik (Kreditkarte) bezahlt.

Zum Kompromiss neige ich allenfalls bei gepolsterten Hosen, und selbst da nur ab Distanzen von 68 km und mehr. Auch Regenschutz ist eigentlich nicht schlecht, wenn man sich nicht unterstellen will. Der Rest: Wolle, Baumwolle.

Alles andere: Don't! Auch wenn Nike dauernd "Just do it" in dein hungriges Konsumentenohr säuselt. Meer und Meeresbewohner werden es dir danken, denn schon jetzt schwimmt fast schon mehr Plastik im Meer als Fische.
In a business-as-usual scenario, the ocean is expected to contain one tonne of plastic for every three tonnes of fish by 2025, and by 2050, more plastics than fish [by weight].” ... every year “at least 8m tonnes of plastics leak into the ocean — which is equivalent to dumping the contents of one garbage truck into the ocean every minute. If no action is taken, this is expected to increase to two per minute by 2030 and four per minute by 2050 (The Guardian, 19 Jan 2016)

11 Januar 2018

Fahrradmitnahme im ICE: Verpackung ist Pflicht, Tarnung schadet nicht.


Fotos: Dahon, Brompton blog, Yahee

Fahrradkarte kaufen und dann nur noch IC statt ICE* fahren? Einen Aufpreis dafür zahlen, dass man nun auch noch mit dem langsameren Zug fahren muss, nur weil man sein Rad dabei hat?
Mein Stolz ist zu groß, also sinne und trachte ich nach Wegen, mein Rennrad kostenlos im ICE zu befördern.

So viel schon jetzt. Es ist mehr oder weniger problemlos möglich, aber über ein Mindestmaß an Leidensfähigkeit sollte man verfügen, vor allem im Bezug auf große Gepäckstücke. Überdies sollte ein Grundstock an Ausrüstung vorhanden sein, zumindest wenn die Rennradmitnahme halbwegs regelmäßig stattfindet.

Mein erster Rennradtransport (Berlin-Mannheim) war ein Müllsacktransport. In drei bis vier schwarzgraue Müllsäcke gehüllt (die Laufräder gehen extra) und mit Pappe aus dem Supermarkt gepolstert, glichen Rahmen und Anbauteile zwar keinem gebräuchlichen Koffermodell**, verstießen aber auch gegen keine geltenden Mitnahmevorschriften. Wer dann noch am Zugende sein Quartier aufschlägt, kann sein übergroßes Gepäck auch gleich hinter den Einstieg deponieren. Hier steigen nur wenige Passagiere ein und aus, und anders als am Kopf der Zuges, wo der Zugang zum Führerhaus der Lok blockiert würde, steht das Rad hier nicht im Weg.

Angenehmer wird das Verpacken mit einer Radreisetasche. Für 20 Euro habe ich online eine Tasche, riesengroß, erworben. Es ist das Modell "El Bolso" von Dahon in der größtmöglichen Variante. Bolso fasst das komplette Rad — Laufräder sind rechts und links vom Rahmen untergebracht — und lässt sich trotz der beträchtlichen Größe noch immer über die Schulter hängen.

Letzte Woche waren Bolso, Bike und ich im ICE von Hamburg nach Mannheim unterwegs. Bolso ist kein Schutzwunder: das Kettenblatt kann sich durch den Stoff arbeiten, sollte also mit einer Lage dicker Pappe oder festem Schaumstoff daran gehindert werden; ich hatte während der letzten Transporte diesen guten Tipp ignoriert und sah mich blitzenden Aluminiumzähnen gegenüber. Schnell Pappe drunter, alles wieder gut. Zuhause dann alles zunähen. Keine bleibenden Schäden.

Doch zurück zur Zugreise. Kurz vor Mannheim gehe ich an das Kopfende des Wagens, vor die gläsernen Automatiktüren, Multitool in der Hand, setze die Laufräder in den Rahmen, schraube die Campagnolo-Pedale ein, stecke den Vorbau samt Lenker ins Steuerrohr, hebe den Sattel an und checke alles durch. Fahrbereit in fünf Minuten. El Bolso wird zusammengeknüllt und in den 3-Euro-Leichtrucksack von Ikea gestopft.

Eine Schaffnerin kommt vorbei und bleibt abrupt stehen, als hätte sie ihr Timing aus einem Laurel-and-Hardy-Film: "Wo kommt denn das Rad jetzt her?" Ich kläre sie auf. Das Rad sei eingepackt gewesen, ich hätte es eilig und könne deshalb nicht mit dem Wiederzusammenbau warten, stiege aber am nächsten Bahnhof schon aus. Na ja, kam es gnädig zurück, sie habe das Rad ja bei den letzten Bahnhofstopps "überhaupt nicht realisiert", und ihr Sohn habe ja auch ein tolles Rennrad, nicht so "retro" (richtig wäre "vintage", da Baujahr 1985), sondern modern eben, gebraucht für nur 300 Euro gekauft. Ein Ermahnung blieb aus, wohl auch weil die Einfahrt in den Bahnhof Mannheim kurz bevorstand und ich ein wenig auch meinen Charme spielen ließ.

Auch ohne Charme und Verständnis werfen Schaffner ihre fahrradtragenden Fahrgäste nicht aus dem ICE. Verpackung ist Pflicht, Tarnung schadet nicht. Nichts blockieren. Nichts hassen Bahnschaffner mehr als verstellte Durchgänge. Wenn im Großraumwagen eine Zweierreihe leer ist, schiebe ich das Rad dort hinein, mache aber sofort frei, wenn der Zug sich zu sehr füllt.

Morgen bleibt Bolso zuhause, stattdessen reise ich mit "Dimpa" (Ikea, EUR 6) und einer generischen Fahrradtasche des Onlinehändlers Yahee aus Markgröningen, die ich vor Jahresfrist für 7 Euro gekauft habe. Gleich zwei Taschen, das hätte ich mir gerne erspart, aber erstens ist die Bolso in Mannheim, während ich gerade in Hamburg bin, und zweitens bietet sich der Einsatz zweier Taschen beim Peugeot "DA 40 E" geradezu an: es ist ein zerlegbares 20-Zoll-Rad ("Steckrad", nicht Klapprad) aus dem Jahr 1972: das Hinterteil kommt in die blickdichte Fahrradtasche (Bild oben rechts), das Vorderteil in die semitransparenta Dimpa. Passt gut. Weniger schön ist das Gewicht: 12 und 7 Kilo sind zu tragen. Allerdings können die zwei Einzelstücke auch wesentlich besser im ICE verstaut werden als die große Bolso.

* Die neuen ICE 4-Züge, die seit Ende 2017 auf einigen Strecken verkehren, verfügen über Fahrradstellplätze, insofern stimmt es also nicht, dass die Bahn Fahrräder nur in ICs oder langsameren Zügen befördert. Allerdings fallen bei Buchung neun Euro an. 


** Ich kann es mir nicht verkneifen, aber Menschen mit Rollkoffern, vor allem mit den Aluteilen der Fa. Rimowa, sind mir hochgradig suspekt und auf Anhieb unsympathisch. So wie Rimowa (Teil des Luxuskonzerns LVMH) selbst: "Rimowa & aluminium since 1937" wirbt die Firma auf ihrer Website. 1937? Es würde mich nicht wundern, wenn beträchtliche Mengen des Aluminiums für Rimowa-Koffer aus den Hütten kamen, die später auch die Nazi-Kriegsindustrie bedienten.
Siehe: Die Zeit, Nov. 1999

"Hermann Göring braucht Kampfflugzeuge für die Luftwaffe — ohne große Mengen Aluminium ist das nicht zu schaffen. In der Niederlausitz ... arbeitet seit 1918 die Hütte Lautawerk der Vereinigten Aluminium-Werke (VAW), die Nazis machen das Staatsunternehmen zu einem zentralen Rüstungsbetrieb. Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene sichern die Produktion. Sie arbeiten unter unmenschlichen Bedingungen in der Tonerdefabrik, in der Aluminiumhütte und in der Gießerei. ... Die Aluminiumhütte Lautawerk gibt es nicht mehr, aber VAW hat als Privatunternehmen überlebt. Nur: Auf der Liste der Unternehmen, die sich an der Stiftung der deutschen Industrie zur Entschädigung von Zwangsarbeitern beteiligen, sucht man das Kürzel vergeblich. Dabei war die VAW eine der größten Nutznießerinnen der NS-Zwangsarbeit. In Deutschland sowie in den besetzten beziehungsweise angeschlossenen Gebieten betrieb sie acht Aluminiumhütten und Hilfsbetriebe. Von Töging am Inn über Grevenbroich (Niederrhein), Lünen (Westfalen) und Schwandorf in der Oberpfalz bis nach Pettau im heutigen Slowenien kamen an die 20 000 Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene bei VAW zum Einsatz."

06 Januar 2018

We are not delighted


Garage auf, Schrecksekunde ob des sich bietenden Bildes: in unserer reichlich unaufgeräumten, nie abgeschlossenen Garage steht ein sogenanntes E-Bike, abgestellt vom Besuch der Nachbarn. Darf er gern machen, der Besuch, aber welch ein Monstrum ist dieses Elektrofahrrad! Rund 5 500 Euro kostet das Riese & Müller Delite mountain E-Ped (ich kann es einfach nicht E-Bike nennen: das ist ein E-Moped, nichts anderes), der Gegenwert von 55 meiner renovierten Stahlräder. Hoffentlich hat er es wenigstens geklaut und benutzt nun unsere Garage als Zwischenlager für sein Diebesgut.

Einen Tag später scheint die Sonne. Ich schiebe das Koga-Miyata-Rennrad aus der Garage und fahre nach R...dorf. 10 kg Metall, im letzten Herbst gebraucht gekauft für 100 Euro. Laut Rahmennummer ist es 37 Jahre alt. Es fährt sich ganz wunderbar.

In weiteren 37 Jahren wird niemand mehr verstehen, wieso man einst Fahrräder ohne Motor fuhr, Räder die keinerlei Display hatte, deren Gänge nur zu fühlen waren, die beim Fahren zum zweiten Körper wurden. Der Dualismus Mensch-Maschine war am prothetisch werdenden Fahrrad geringer als je zuvor, mit der Elektronisierung wird Radfahren synonym werden mit surrenden Aggregaten und blinkende Bildschirmen. Kinder werden das Radeln auf E-Peds lernen. Die Unterstützung durch den Elektromotor werden sie bitter nötig haben, denn ihre kleinen fetten Körper geraten schon bei langsamem Laufen ins Schwitzen.

Am Montag war das Riese & Müller-Monstrum wieder verschwunden.

(Ganz am Rande: Ich höre gerade Deutschlandfunk Kultur, ein recht ordentlicher Sender, aber das Christengefasel am Sonntag ist unerträglich.)

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