Das Editorial des Chefredakteurs
Herr F. ist seit 20 Jahren Chefredakteur von aktiv Radfahren. Ich wünsche ihm nur Gutes. Ich wünsche ihm aber auch einen Beruf, bei dem er nur noch Texte schreibt, die nicht zur Veröffentlichung gedacht sind und vor allem, dass er das Schreiben von Editorialen (ein schlimmes Wort) seinen Kolleginnen überlässt.
Herr F. liebt es, seinen zweiten Vornamen ("Voll der Otto?") abzukürzen. Auch im aktuellen Heft von aktiv Radfahren sind seine sämtlichen Fotos und Artikel mit Vornamen, zweitem Vornamen und Nachnamen versehen, was ein wenig nach Schülerzeitungseitelkeit aussieht. Den zweiten Vornamen zu nennen mag angehen bei Allerweltsnamen, etwa um Verwechslungen zu vermeiden (Dieter Zimmer und der großartige Dieter E. Zimmer wissen das) oder bei Berufen in der Bohème, doch bei Herrn F. wirkt es ein wenig aufgesetzt, um nicht zu sagen affig. Darüber ließe sich leicht hinwegsehen, wenn Herr F. einfach nur schreiben könnte. Schreiben kann Herr F. natürlich; er wird, wie wir alle, auf Tasten herumklimpern und das Resultat dann speichern. Was jedoch dabei herauskommt, ist weitgehend belanglos und belastet das Zartgefühl der deutschen Sprache gegenüber.
Scare quotes sind ein Zeichen für unerfahrene, ängstliche, und meist auch schlechte Schreiber, die immer dann Anführungszeichen setzen, wenn sie einen inneren oder äußeren Mangel verspüren: an Kompetenz, Wissen, Humor, sprachlicher Genauigkeit. Oder wenn sie ihre Leser für dumm halten bzw. ihr eigene Intelligenz überschätzen. Oder sich einfach nicht vorstellen können, dass die Freude am Lesen auch darin besteht, nicht alles und jedes bis ins letzte Detail erklärt zu bekommen. Der aktuelle amerikanische Präsident liefert ein schönes Beispiel, wenn er "sick" in scare quotes setzt, damit der gemeine Twitter-Leser versteht, dass "sick" hier nicht "körperlich krank" bedeutet, sondern "krank im Kopf".
Ein unerfahrener oder arrogante Autor sagt durch Anführungszeichen auch: Schau, du Dussel, das ist jetzt ein Produktname ("WhatsApp", siehe Originaltext unten), nun kommt ein Hauch Ironie ("mildernde Umstände", "Retter", "Erste Hilfe"), und jetzt steht hier etwas, was so schrecklich schlau von mir ist, dass du Depp es nicht bemerken würdest, wenn ich nicht für dich und deine lange Leitung Anführungszeichen setzen würde ("Oben ohne", "Vorbild-Funktion"). Durch diesen interpunktionstechnischen Kniff schützt sich der Autor vermeintlich vor Kritik, denn er sagt, immer und immer wieder: ich habe es nicht so gemeint, ich habe es nur ironisch dargestellt, mir fällt gerade nichts besseres ein, ich bin mir meiner Wortwahl nicht sicher (aber zu faul um nachzusehen), und wenn ich es doch einmal so gemeint habe, wie es hier steht, so gilt es nur in verwässerter Form.
Unnötige Anführungszeichen sind nicht nur das Eingeständnis eigener Bequemlichkeit und mangelnden Ausdrucksvermögens, sondern immer auch ein Stück Arroganz dem Leser gegenüber. (Für praktische veranlagte Menschen ein Tipp: die Anführungszeichen einfach weglassen, Titel und Eigennamen kursiv schreiben. Einzig direkte Zitate verdienen Gänsefüßchen.)
Wer eine Sache nicht kapiert hat, wird auch andere Dinge kaum verstanden haben
So auch bei Herrn F., dem mächtigen Chefredakteur der Zeitschrift aktiv Radfahren, die wenigstens Aktiv Radfahren heißen sollte, oder besser noch: Radfahren, denn passives Radfahren ist überaus selten und Redundanz in Titeln einfach nur dämlich. Herrr F. versteht nicht, dass scare quotes nichts taugen, und so versteht er auch nicht, dass drei Punkte hintereinander – es handelt sich um sogenannte Auslassungspunkte – auch Mist sind. Einen Satz in einem cliffhanger-ähnlichen "..." auslaufen zu lassen, habe ich zum letzten Mal in der dritten Klasse Grundschule getan, in der falschen Annahme, dass mein Kunstgriff geheimnisvoll-dräuende Spannung erzeugt. Was er tatsächlich erzeugt, ist ein ungläubiges Was-zum-Henker-soll-der-Quatsch. Drei Pünktchen am Ende eines Satzes sind ein dümmliches und überflüssiges Vortäuschen von Tiefe und Bedeutung.
Erstaunlich vielfältig sind allerdings die unsinnigen Varianten, die unser Chefredakteur diesen drei einfachen Punkten entlockt. "Liebe Leser ..." tastet er sich an sein Publikum heran, um dann in der nächsten Zeile mit "..." und "Termine [...], Produktionstermine, der normale Wahnsinn im Verkehr." seinen Satz zu beenden, ohne dass es ihm gelungen wäre, ein Quäntchen Sinn oder einfach nur ein Verb zu erzeugen.
Dass die Rechtschreibung dabei ebenfalls recht wackelig dasteht, beweist die Großschreibung von "Mildernd": Während "Erste Hilfe" durchaus in beiden Teilen großzuschreiben ist, sollte die adjektivische Komponente von "mildernde Umstände" klein bleiben, und nicht, wie Herr F. schreibt, groß.
Das Editorial: eine Erledigung
Damit könnte ich eigentlich aufhören. Der Fall ist erledigt, der Chefredakteur auch. Aber es lohnt sich noch zu erklären, dass die drei Punkte Auslassungen in wissenschaftlichen Publikationen gerne mit "[...]" gekennzeichnet werden, was sinnvoll ist. Weiterhin ist es in normaler Prosa üblich, Wortbruchstücke ebenfalls mit drei Punkten zu kennzeichnen, allerdings ohne vorangestelltes Leerzeichen: "Sie konnte ihren Hilfeschrei nicht beenden: 'So helft mir do...!'"
Wer jedoch sowohl die Anrede "Lieber Leser ..." als auch die Grußformel "wünscht Ihnen ..." mit drei Punkten abschließt, überreizt seine interpunktionellen Freiheiten.
Nur zwölf Wörter, die allerersten seines Editorials, benötigt Chefredakteur F., um insgesamt drei gravierende Patzer zu machen: er wiederholt Termin, indem er wichtigtuerisch noch die Untergruppe Produktionstermine nennt; er zitiert den (ganz) "normale[n] Wahnsinn", was ein dämlicher, tausendfach wiedergekäuter Ausdruck ist; und so schustert er aus Klischees und Wichtigtuerei einen ersten Satz zusammen, ganz ohne Verb, der weder als Stimmungsbild noch als sinntragende Einheit überzeugt. Schopenhauer nennt dergleichen "Wortgewölle", und viel mehr als gedankenarmes Geschwurbel ist es wirklich nicht, was uns hier präsentiert wird. Aber vielleicht ist dies ja auch schlaue Absicht, denn dergestalt abgestumpft, sind wir ein williger Acker für die versteckten und tatsächlichen Werbebotschaften des Heftes, das nur an der Oberfläche ein objektiver Kaufberater sein will. Nein, lesen oder gar kaufen muss man dieses Heft nicht.
Ein Gang ist kein Gang, und dann aber gleich zwei
Andererseits: Vielleicht erwarte ich zu viel von Chefredakteuren. So wie ich auch von den Marketing-Menschen des Herrn Schwarz aus Heilbronn mehr erwartet habe. Letztere schreiben auf
https://www.lidl.de/de/prophete-singlespeed-bike-belt-drive-28-zoll/p244962, dass sie ein Rad ohne Gangschaltung ("Singlespeedbike", das ist weder Deutsch noch Englisch noch witzig) mit zwei Gängen zum Kauf anbieten. Dennoch verstehen wir, was gemeint ist: ein Rad, dem seine Gangschaltung nicht anzusehen ist, das aber dennoch über eine Zweigang-Schaltung verfügt. Und doch bleibt der Lidl-Text Unsinn, ebenso wie der Text der Vertriebsfirma Prophete:
"Ab heute konzentrieren Sie sich auf den Verkehr [...], während das Singlespeedbike für Sie [...] schaltet."Ein Rad ohne Gänge, das schaltet! In der Lidlschen Mathematik sind eins und zwei identisch. Damit schließt sie auf zur allerhöchsten Rechenkunst, dann auch die "Eulersche Zahl ist eine transzendente (Beweis nach Charles Hermite, 1873) und damit irrationale Zahl (Beweis)" (Wikipedia).


Oben: Hier wäre es schön, einen richtigen Gedankenstrich zu verwenden: —. Und die Anführungszeichen wegzulassen: Danke, Onkel Autor, wir wissen schon, was "urban" bedeutet.

Oben: Im Namen des Herren und der Redaktion ... Ist "Leser LIKEN aktiv Radfahren!" nicht der irrste Satz, den die deutsche Sprache je ertragen musste?
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