Besonders dreist ist es, dass sogenannte Bike-Fitting-Anbieter aus dem Missstand des buckligen Sitzens nun auch noch Kapital schlagen. Schlappe 345 Euro verlangt die Firma Radlabor für ihr Expert-Paket, das man sich meiner Meinung nach ins Haar schmieren kann. Wann haben Sie das letzte Mal ein Auto gekauft, um für 345 Euro zu erfahren, wie Sie sich den Sitz richtig einstellen? Der Himmel helfe den armen Menschen, die tatsächlich zum Bike-Fitter gehen.
"I am having a fit" heißt auf Englisch übrigens nicht, dass ich eine Sitzanpassung vornehmen lasse, sondern dass ich einen Tobsuchtsanfall bekomme. Den bekomme ich, wenn ich sehe, dass Zeitschriften wie Tour völlig unironisch Ratschläge zu Bike-Fittern geben ("Laser-Vermessung an 5 oder 14 Punkten je Körperhälfte. Eine Software errechnet die optimale Sitzposition.") anstatt kategorisch vor solcher Scheinwissenschaft samt Abzocke abzuraten. Oder vielleicht doch einmal investigativen Journalismus wagen. Nacheinander 10 Bike-Fitter aufsuchen, um dann staunend bekanntzugeben, dass alle eine andere Sitzposition errechnet haben.
Wer es nicht schafft, sein Rad selbst richtig einzustellen, sollte vielleicht doch lieber Straßenbahn fahren. Auf jeden Fall wären die 345 Euro besser investiert, wenn man noch 60 Euro drauflegt und sich ein Masi Alare kauft, mit dem man moderne Sitzpositionen ausprobieren kann. Genau dies habe ich getan. 405 gut angelegte Euro, um in etwa so auszusehen, wie der Herr in dieser Specialized-Anzeige.

Es ist schockierend, dass auch ich nun so durch die Gegend fahre. Es fällt auf, wie winzig der Rennradrahmen wirkt, wie weit die Sattelstütze das Oberrohr überragt. Unwillkürlich denke ich an Miniräder aus den 1970ern. Die Oberkante der Startnummer im obigen Bild würde bei einem traditionellen Rahmen (mit nicht ansteigenden Oberrohr) die Stelle markieren, an der bereits die Unterkante das Sattels beginnt. Beim modernen Rennrad fühlt man sich an Falträder erinnert, deren Sattelstützen die Rahmenhöhe um das Doppelte übersteigen.
Ohne auch nur eine Aussage über den Fahrkomfort treffen zu können, so fällt doch auf, wie unglücklich der Fahrer auf einem Rad sitzt, dem er längst entwachsen zu sein scheint. Viele Tausend Euro zahlen, nur um auch so elend auszusehen? Das dann doch nicht. Aber einmal ausprobieren, wie sich das anfühlt, das geht durchaus. Und damit es nicht nur bei einer Probefahrt bleibt, sondern ein richtiger Dauertest wird, habe ich mir das Masi gekauft, mit 53er Rahmen. Zugegeben, ein bisschen Breaking Away-Nostalgie war auch dabei, und dann war der Preis natürlich sehr gut: auf Bike-Fitting-Niveau.
Eine deutliche Überhöhung (Differenz wischen Sattel- und Lenkerhöhe, seat-to-handlebar drop), verbunden mit relativ kleinen Rahmen, ist seit geraumer Zeit ein Zeichen von Rädern im Renneinsatz. Doch durch die enge Stufung von Rahmenhöhen (meist 52 bis 62 cm, in 2-cm-Abständen), ließ sich früher die Überhöhung in Grenzen halten, vor allem für Fahrer, denen nichts an Rennoptik aber viel an Tourentauglichkeit lag. Mein Peugeot PX-10 ist mit seinem langen Radstand und seinem 60er-Rahmen ein gutes Beispiel. Bei den heute vorherrschenden Größen S, X und XL muss die Sattelstütze den Löwenanteil der ergonomischen Anpassung übernehmen. Schön sieht das meistens nicht aus.
Aber Ästhetik ist eine Sache, praktische Fahrbarkeit eine andere. Logos gegen praxis, wie es bei den alten Griechen hieß. Meine Sattelstütze schaut nun 17 cm aus dem Rahmen, der Lenker liegt 12 cm unter Sattelniveau, was komischerweise nicht einmal so schlecht aussieht. Oder macht sich hier schon ein Gewöhnungseffekt bemerkbar? Ich mach hier, was ich eigentlich ablehne, binde es aber in ein Experiment an: Wie fährt sich moderne Radgeometrie? Vielleicht ist es ja gar nicht so schlimm mit der Überhöhung, zumal prominente Fahrer wie Bradley Wiggins schon immer bewusst genau das gemacht haben, was ich nun eher zufällig austeste.
Bradley Wiggins misst 1,90 m und fährt (fuhr) einen 55er Rahmen. Er ist 5% größer als ich, entsprechend darf mein Rahmen auch 5% kleiner sein, und das ist er auch (size M, 53 cm, Fahrer von 174 cm bis 183 cm). Wiggins' Vorbau hat eine Länge von 142 mm, ich müsste also entsprechend 135 mm fahren, habe aktuell aber nur 100 mm montiert, was mich aufrechter sitzen lässt und im Stadtverkehr sinnvoll.
Meine Überhöhung (seat-to-bar drop) beträgt 120 mm, die von Wiggins 145 mm. Aber auch hier liegen der Tour-Sieger und ich, proportional betrachtet, in etwa auf einer Linie, auch wenn bei mir die Wigginsschen Extreme vermieden werden.


Oben: Ca. 10 000 Dollar, unten ca. 500 Dollar
Vor fünfzig Jahren buckelte man auch, stellte den Sattel höher als den Lenker, und dennoch war das Gesamtbild deutlich akzeptabler. Längere Rahmen gaben dem Körper Raum. Noch in den späten 60ern waren die Rahmen so lang, dass auch der italienische Profi noch eine bella figura abgab. Heute sehen Profis und Hobbyradler aus, als seien sie eingeklemmt. Bemitleidenswert.
Ein ähnlicher Unsinn wie die absurd nach oben gezogenen Sattelstützen sind Aheadsets. Eine schlichtes Absenken (früher wurde dazu der Vorbau tiefer in das Steuerohr geschoben) resultiert in einer optischen Katastrophe, wie dieses Cannondale demonstriert:

Auch hier scheint die Motivation der Hersteller überwiegend in der Gewinnmaximierung zu liegen. Teurer Müll.
Klassisch elegant hingegen und auch nach 45 Jahren noch schön anzusehen: das Peugeot-Rennrad.