26 Juli 2017

Sitzen

Wie wir sitzend fahren, radfahren, ist abhängig von Moden. Moden, die von der Fahrradindustrie als Ergebnisse wissenschaftlicher Forschung angepriesen werden. Unsere Sitzposition, die bequem und schmerzfrei sein könnte, ist es oft nicht. Schuld daran trägt die Orientierung am Rennsport, die das windschnittige Sich-Ducken, aus gutem Grund, zur Norm macht. Nach oben buckeln und nach unten treten war nie deutlicher ausgeprägt als in den 2010ern, in Straßenrennen wie auch im richtigen Leben.

Besonders dreist ist es, dass sogenannte Bike-Fitting-Anbieter aus dem Missstand des buckligen Sitzens nun auch noch Kapital schlagen. Schlappe 345 Euro verlangt die Firma Radlabor für ihr Expert-Paket, das man sich meiner Meinung nach ins Haar schmieren kann. Wann haben Sie das letzte Mal ein Auto gekauft, um für 345 Euro zu erfahren, wie Sie sich den Sitz richtig einstellen? Der Himmel helfe den armen Menschen, die tatsächlich zum Bike-Fitter gehen.

"I am having a fit" heißt auf Englisch übrigens nicht, dass ich eine Sitzanpassung vornehmen lasse, sondern dass ich einen Tobsuchtsanfall bekomme. Den bekomme ich, wenn ich sehe, dass Zeitschriften wie Tour völlig unironisch Ratschläge zu Bike-Fittern geben ("Laser-­Vermessung an 5 oder 14 Punkten je Körperhälfte. Eine Software errechnet die optimale Sitzposition.") anstatt kategorisch vor solcher Scheinwissenschaft samt Abzocke abzuraten. Oder vielleicht doch einmal investigativen Journalismus wagen. Nacheinander 10 Bike-Fitter aufsuchen, um dann staunend bekanntzugeben, dass alle eine andere Sitzposition errechnet haben.

Wer es nicht schafft, sein Rad selbst richtig einzustellen, sollte vielleicht doch lieber Straßenbahn fahren. Auf jeden Fall wären die 345 Euro besser investiert, wenn man noch 60 Euro drauflegt und sich ein Masi Alare kauft, mit dem man moderne Sitzpositionen ausprobieren kann. Genau dies habe ich getan. 405 gut angelegte Euro, um in etwa so auszusehen, wie der Herr in dieser Specialized-Anzeige.

Es ist schockierend, dass auch ich nun so durch die Gegend fahre. Es fällt auf, wie winzig der Rennradrahmen wirkt, wie weit die Sattelstütze das Oberrohr überragt. Unwillkürlich denke ich an Miniräder aus den 1970ern. Die Oberkante der Startnummer im obigen Bild würde bei einem traditionellen Rahmen (mit nicht ansteigenden Oberrohr) die Stelle markieren, an der bereits die Unterkante das Sattels beginnt. Beim modernen Rennrad fühlt man sich an Falträder erinnert, deren Sattelstützen die Rahmenhöhe um das Doppelte übersteigen.
Ohne auch nur eine Aussage über den Fahrkomfort treffen zu können, so fällt doch auf, wie unglücklich der Fahrer auf einem Rad sitzt, dem er längst entwachsen zu sein scheint. Viele Tausend Euro zahlen, nur um auch so elend auszusehen? Das dann doch nicht. Aber einmal ausprobieren, wie sich das anfühlt, das geht durchaus. Und damit es nicht nur bei einer Probefahrt bleibt, sondern ein richtiger Dauertest wird, habe ich mir das Masi gekauft, mit 53er Rahmen. Zugegeben, ein bisschen Breaking Away-Nostalgie war auch dabei, und dann war der Preis natürlich sehr gut: auf Bike-Fitting-Niveau.

Eine deutliche Überhöhung (Differenz wischen Sattel- und Lenkerhöhe, seat-to-handlebar drop), verbunden mit relativ kleinen Rahmen, ist seit geraumer Zeit ein Zeichen von Rädern im Renneinsatz. Doch durch die enge Stufung von Rahmenhöhen (meist 52 bis 62 cm, in 2-cm-Abständen), ließ sich früher die Überhöhung in Grenzen halten, vor allem für Fahrer, denen nichts an Rennoptik aber viel an Tourentauglichkeit lag. Mein Peugeot PX-10 ist mit seinem langen Radstand und seinem 60er-Rahmen ein gutes Beispiel. Bei den heute vorherrschenden Größen S, X und XL muss die Sattelstütze den Löwenanteil der ergonomischen Anpassung übernehmen. Schön sieht das meistens nicht aus.

Aber Ästhetik ist eine Sache, praktische Fahrbarkeit eine andere. Logos gegen praxis, wie es bei den alten Griechen hieß. Meine Sattelstütze  schaut nun 17 cm aus dem Rahmen, der Lenker liegt 12 cm unter Sattelniveau, was komischerweise nicht einmal so schlecht aussieht. Oder macht sich hier schon ein Gewöhnungseffekt bemerkbar? Ich mach hier, was ich eigentlich ablehne, binde es aber in ein Experiment an: Wie fährt sich moderne Radgeometrie? Vielleicht ist es ja gar nicht so schlimm mit der Überhöhung, zumal prominente Fahrer wie Bradley Wiggins schon immer bewusst genau das gemacht haben, was ich nun eher zufällig austeste.

Bradley Wiggins misst 1,90 m und fährt (fuhr) einen 55er Rahmen. Er ist 5% größer als ich, entsprechend darf mein Rahmen auch 5% kleiner sein, und das ist er auch (size M, 53 cm, Fahrer von 174 cm bis 183 cm). Wiggins' Vorbau hat eine Länge von 142 mm, ich müsste also entsprechend 135 mm fahren, habe aktuell aber nur 100 mm montiert, was mich aufrechter sitzen lässt und im Stadtverkehr sinnvoll.

Meine Überhöhung (seat-to-bar drop) beträgt 120 mm, die von Wiggins 145 mm. Aber auch hier liegen der Tour-Sieger und ich, proportional betrachtet, in etwa auf einer Linie, auch wenn bei mir die Wigginsschen Extreme vermieden werden.


Oben: Ca. 10 000 Dollar, unten ca. 500 Dollar

Vor fünfzig Jahren buckelte man auch, stellte den Sattel höher als den Lenker, und dennoch war das Gesamtbild deutlich akzeptabler. Längere Rahmen gaben dem Körper Raum. Noch in den späten 60ern waren die Rahmen so lang, dass auch der italienische Profi noch eine bella figura abgab. Heute sehen Profis und Hobbyradler aus, als seien sie eingeklemmt. Bemitleidenswert.

Ein ähnlicher Unsinn wie die absurd nach oben gezogenen Sattelstützen sind Aheadsets. Eine schlichtes Absenken (früher wurde dazu der Vorbau tiefer in das Steuerohr geschoben) resultiert in einer optischen Katastrophe, wie dieses Cannondale demonstriert:

Auch hier scheint die Motivation der Hersteller überwiegend in der Gewinnmaximierung zu liegen. Teurer Müll.
Klassisch elegant hingegen und auch nach 45 Jahren noch schön anzusehen: das Peugeot-Rennrad.

24 Juli 2017

Hängemattenrad

Sieht bequem aus, aber auch schwer und nicht eben kräftesparend, das neue Rad von Rahmenbauer Kiefer und Konstrukteur Arouna. Das ähnlich konzipierte Pedersen (Pedersen Cycle Frame Co. Ltd., 1897) stammt aus einer Zeit, in der Kopfsteinpflaster und Schotterpisten zu den besseren Straßen gehörten, insofern war die schwingende, stoßabsorbierende Konstruktion sinnvoll. Auch beim Citroen 2CV sind die langen Federwege aus der Zeit und der Infrastruktur zu erklären: dem Bauern sollten die frischen Eier auf dem Weg zum Wochenmarkt nicht zu Eierpampe werden.

Ob Sahabi Arounas Seilsattel-Rad in die Zeit passt, sollen andere entscheiden. Da aber gerade in Deutschland die Radwege immer holpriger werden und die Ärsche immer zartfühlender, könnte der Plan des Erfinders tatsächlich aufgehen.
https://velopedart.com/

Für 2100 Euro gehört es dir. (Halt, Update: der Preis wurde reduziert: EUR 1690.) So verlockend das Rad auch ist, ich bleibe bei meinen Gebrauchträdern für unter 100 Euro.

23 Juli 2017

Vintage e-Bikes


Inzwischen sind wir schon so weit, dass wir Vintage-e-Bikes haben. Zumindest kommt es mir so vor. Das Velo-de-Ville E-C20, das mein Bruder gerade gekauft hat, fällt mit seinem Baujahr 2012 aus der Reihe der familienüblichen Zukäufe: als gewöhnliches Gebrauchtrad ist es zu neu, als Elektorad zu alt und fast schon vintage. Mit seinem Nabenmotor von 2011 (SR Suntour HESC, erste Generation) versprüht es einen Hauch elektronischer Nostalgie. Heuer sieht man ja fast nur noch Mittelmotore mit Akkupacks, die irgendwo im Rahmen verschwinden und das Fahrrad optisch zum Moped machen. Besser fahren tun sie allerdings nicht: das 5-Jahre-alte Velo-de-Ville ist ein großartiges Fahrzeug.

Nahezu unverändert geblieben in seiner rund 40-jährigen Geschichte ist das Brompton-Faltrad. Ende Juli erscheint es in einer elektrischen Version, die schon jetzt ein wenig antiquiert erscheint, denn der Motor sitzt auch beim Brompton electric in der Vorderradnabe. Das Batteriepack wird dort festgezurrt, wo sonst die praktische Vordertasche sitzt.


Gesamtgewicht:
2-speed: 13.7 kg (16.6 kg total with battery)
6-speed: 14.4 kg (17.3 kg total with battery)
Der ganze Spaß kostet rund 3000 Euro, und damit hat sich Brompton selbst ins Bein geschossen.

19 Juli 2017

POC, piece of something

"This was quite the POC when I purchased it, so I fixed it up as shown here", lese ich gerade auf einem Online-Forum.
Schade für die schwedische (und hundsgemein teure) Firma POC, dass POC eben auch für "piece of crap" steht. 

PX-Schummelanzeigen

Ich bin entsetzt, wie viele Menschen ihr altes Peugeot-Renn- oder Rennsportrad als PX-10, das Topmodell früherer Zeiten, ausgeben. Oder Unwissenheit vortäuschen: "Verkaufe Peugeot. PX-10?"

Ein heutiger Blick in die eBay-Kleinanzeigen fördert 12 PX-10 zutage, von denen nur zwei diesen Namen auch verdienen. Deswegen ist wohl auch diese Annonce auf eBay-Kleinanzeigen entstanden, in bester aufklärerischer Absicht:
Kein Tippfehler: Ich biete hier ausdrücklich "Rat" (nicht: "Rad") zum Thema Peugeot PX-10.
Bei der Durchsicht aller Anzeigen, die mit "PX-10" überschrieben sind, fiel mir als ehemaligem Händler sofort auf, dass nahezu keines dieser Räder ein echtes PX-10 ist. Klar, da sind nette Bikes dabei, aber ein echtes PX-10 hat immer folgende Kennzeichen:

1. Halbverchromte Gabel und halbverchromter Hinterbau
2. Keine Anlötteile wie Pumpenhalter, Kabelführungen oder Flaschenhalter. Einzig die Schalthebelschelle hat einen angelöteten Anschlag, und auch der Schaltzug für den hinteren Umwerfer hat eine angelötete Führung.

Mit diesen zwei einfachen Kriterien, die für alle PX bis ca. 1977 zutreffen, können Sie 95% aller als PX ausgelobten Modelle als NICHT-PX identifizieren und so viel Geld sparen.

Wenn Sie sich weiterhin unsicher sind, kontaktieren Sie mich bitte, und ich sage Ihnen für eine Spende von 5 Euro, die der World Bicycle Relief.org zugutekommt (ich spende regelmäßig komplette Räder für Zambia), ob es sich bei Ihrem Rad um ein echtes PX-10 handelt.

Ich sage es Ihnen sogar unentgeltlich, so sehr wurmt es mich, wie hier Schindluder mit angeblich kostbaren Rädern getrieben wird. Ich würde mich aber dennoch freuen, wenn Sie etwas spenden würden.

Ich habe mir gerade ein 1971er PX-10 angeschafft, da meine eigenen Räder aus dieser Zeit längst andere Besitzer gefunden haben. Ein Bild des unrestaurierten Rades finden Sie anbei. Dieses Rad ist bis auf den Sattel im Originalzustand und steht nicht zum Verkauf.

Nochmal: Lassen Sie sich nicht veräppeln. Nicht jedes schwarz-weiße Peugeot-Rennrad ist auch gleich ein PX-10.
Ein wenig trägt Peugeot an dieser Misere selbst schuld, schließlich hat man es versäumt, die Räder mit Typenschildern zu versehen. Allein über Prospekte und Händlerkataloge waren die Typencodes zu bekommen, auf dem Rad selbst stand nur "Peugeot", ergänzt um werbewirksame Aufkleber wie "Inoxydable", "Champion du Monde" oder "Record du Monde", was schlichtere Gemüter dazu verleitete, von ihrem neu erworbenen Record du Monde zu sprechen, obwohl es sich eigentlich um ein PA-LE mit Record du Monde-Aufkleber handelte.

14 Juli 2017

Aktiv Radfahren oder 'Kann es eine schlechtere Fahrradzeitschrift geben?'

Gäbe es dieses Blatt nicht, man müsste es erfinden, allein schon um seinen Dyslexie-gefährdeten Freunden Schreibweisen wie "Problm" (Ausgabe 7/8 2017, siehe Screenshot unten) zeigen zu können. Nein, Lese- und Rechtschreibschwäche darf kein Grund sein, den Berufsweg Journalist nicht einzuschlagen. Anders schaut's aus bei allgemeiner Denkschwäche oder angeborener Hirnträgheit. Allerdings, so zeigt ein subjektiver Blick auf die Mehrzahl deutscher Fach- und Spartenblätter (Fit for fun ist kein Englisch!), stellt auch die Kombination aller hier erwähnten Mängel keinen ernsthaften Grund dar, einen anderen Karrierepfad als den des Fachjournalisten einzuschlagen.

Das Editorial des Chefredakteurs

Herr F. ist seit 20 Jahren Chefredakteur von aktiv Radfahren. Ich wünsche ihm nur Gutes. Ich wünsche ihm aber auch einen Beruf, bei dem er nur noch Texte schreibt, die nicht zur Veröffentlichung gedacht sind und vor allem, dass er das Schreiben von Editorialen (ein schlimmes Wort) seinen Kolleginnen überlässt.

Herr F. liebt es, seinen zweiten Vornamen ("Voll der Otto?") abzukürzen. Auch im aktuellen Heft von aktiv Radfahren sind seine sämtlichen Fotos und Artikel mit Vornamen, zweitem Vornamen und Nachnamen versehen, was ein wenig nach Schülerzeitungseitelkeit aussieht. Den zweiten Vornamen zu nennen mag angehen bei Allerweltsnamen, etwa um Verwechslungen zu vermeiden (Dieter Zimmer und der großartige Dieter E. Zimmer wissen das) oder bei Berufen in der Bohème, doch bei Herrn F. wirkt es ein wenig aufgesetzt, um nicht zu sagen affig. Darüber ließe sich leicht hinwegsehen, wenn Herr F. einfach nur schreiben könnte. Schreiben kann Herr F. natürlich; er wird, wie wir alle, auf Tasten herumklimpern und das Resultat dann speichern. Was jedoch dabei herauskommt, ist weitgehend belanglos und belastet das Zartgefühl der deutschen Sprache gegenüber.

Scare quotes sind ein Zeichen für unerfahrene, ängstliche, und meist auch schlechte Schreiber, die immer dann Anführungszeichen setzen, wenn sie einen inneren oder äußeren Mangel verspüren: an Kompetenz, Wissen, Humor, sprachlicher Genauigkeit. Oder wenn sie ihre Leser für dumm halten bzw. ihr eigene Intelligenz überschätzen. Oder sich einfach nicht vorstellen können, dass die Freude am Lesen auch darin besteht, nicht alles und jedes bis ins letzte Detail erklärt zu bekommen. Der aktuelle amerikanische Präsident liefert ein schönes Beispiel, wenn er "sick" in scare quotes setzt, damit der gemeine Twitter-Leser versteht, dass "sick" hier nicht "körperlich krank" bedeutet, sondern "krank im Kopf".

Ein unerfahrener oder arrogante Autor sagt durch Anführungszeichen auch: Schau, du Dussel, das ist jetzt ein Produktname ("WhatsApp", siehe Originaltext unten), nun kommt ein Hauch Ironie ("mildernde Umstände", "Retter", "Erste Hilfe"), und jetzt steht hier etwas, was so schrecklich schlau von mir ist, dass du Depp es nicht bemerken würdest, wenn ich nicht für dich und deine lange Leitung Anführungszeichen setzen würde ("Oben ohne", "Vorbild-Funktion"). Durch diesen interpunktionstechnischen Kniff schützt sich der Autor vermeintlich vor Kritik, denn er sagt, immer und immer wieder: ich habe es nicht so gemeint, ich habe es nur ironisch dargestellt, mir fällt gerade nichts besseres ein, ich bin mir meiner Wortwahl nicht sicher (aber zu faul um nachzusehen), und wenn ich es doch einmal so gemeint habe, wie es hier steht, so gilt es nur in verwässerter Form.

Unnötige Anführungszeichen sind nicht nur das Eingeständnis eigener Bequemlichkeit und mangelnden Ausdrucksvermögens, sondern immer auch ein Stück Arroganz dem Leser gegenüber. (Für praktische veranlagte Menschen ein Tipp: die Anführungszeichen einfach weglassen, Titel und Eigennamen kursiv schreiben. Einzig direkte Zitate verdienen Gänsefüßchen.)

Wer eine Sache nicht kapiert hat, wird auch andere Dinge kaum verstanden haben

So auch bei Herrn F., dem mächtigen Chefredakteur der Zeitschrift aktiv Radfahren, die wenigstens Aktiv Radfahren heißen sollte, oder besser noch: Radfahren, denn passives Radfahren ist überaus selten und Redundanz in Titeln einfach nur dämlich. Herrr F. versteht nicht, dass scare quotes nichts taugen, und so versteht er auch nicht, dass drei Punkte hintereinander – es handelt sich um sogenannte Auslassungspunkte – auch Mist sind. Einen Satz in einem cliffhanger-ähnlichen "..." auslaufen zu lassen, habe ich zum letzten Mal in der dritten Klasse Grundschule getan, in der falschen Annahme, dass mein Kunstgriff geheimnisvoll-dräuende Spannung erzeugt. Was er tatsächlich erzeugt, ist ein ungläubiges Was-zum-Henker-soll-der-Quatsch. Drei Pünktchen am Ende eines Satzes sind ein dümmliches und überflüssiges Vortäuschen von Tiefe und Bedeutung.

Erstaunlich vielfältig sind allerdings die unsinnigen Varianten, die unser Chefredakteur diesen drei einfachen Punkten entlockt. "Liebe Leser ..." tastet er sich an sein Publikum heran, um dann in der nächsten Zeile mit "..." und "Termine [...], Produktionstermine, der normale Wahnsinn im Verkehr." seinen Satz zu beenden, ohne dass es ihm gelungen wäre, ein Quäntchen Sinn oder einfach nur ein Verb zu erzeugen.

Dass die Rechtschreibung dabei ebenfalls recht wackelig dasteht, beweist die Großschreibung von "Mildernd": Während "Erste Hilfe" durchaus in beiden Teilen großzuschreiben ist, sollte die adjektivische Komponente von "mildernde Umstände" klein bleiben, und nicht, wie Herr F. schreibt, groß.

Das Editorial: eine Erledigung

Damit könnte ich eigentlich aufhören. Der Fall ist erledigt, der Chefredakteur auch. Aber es lohnt sich noch zu erklären, dass die drei Punkte Auslassungen in wissenschaftlichen Publikationen gerne mit "[...]" gekennzeichnet werden, was sinnvoll ist. Weiterhin ist es in normaler Prosa üblich, Wortbruchstücke ebenfalls mit drei Punkten zu kennzeichnen, allerdings ohne vorangestelltes Leerzeichen: "Sie konnte ihren Hilfeschrei nicht beenden: 'So helft mir do...!'"

Wer jedoch sowohl die Anrede "Lieber Leser ..." als auch die Grußformel "wünscht Ihnen ..." mit drei Punkten abschließt, überreizt seine interpunktionellen Freiheiten.

Nur zwölf Wörter, die allerersten seines Editorials, benötigt Chefredakteur F., um insgesamt drei gravierende Patzer zu machen: er wiederholt Termin, indem er wichtigtuerisch noch die Untergruppe Produktionstermine nennt; er zitiert den (ganz) "normale[n] Wahnsinn", was ein dämlicher, tausendfach wiedergekäuter Ausdruck ist; und so schustert er aus Klischees und Wichtigtuerei einen ersten Satz zusammen, ganz ohne Verb, der weder als Stimmungsbild noch als sinntragende Einheit überzeugt. Schopenhauer nennt dergleichen "Wortgewölle", und viel mehr als gedankenarmes Geschwurbel ist es wirklich nicht, was uns hier präsentiert wird. Aber vielleicht ist dies ja auch schlaue Absicht, denn dergestalt abgestumpft, sind wir ein williger Acker für die versteckten und tatsächlichen Werbebotschaften des Heftes, das nur an der Oberfläche ein objektiver Kaufberater sein will. Nein, lesen oder gar kaufen muss man dieses Heft nicht.

Ein Gang ist kein Gang, und dann aber gleich zwei

Andererseits: Vielleicht erwarte ich zu viel von Chefredakteuren. So wie ich auch von den Marketing-Menschen des Herrn Schwarz aus Heilbronn mehr erwartet habe. Letztere schreiben auf
https://www.lidl.de/de/prophete-singlespeed-bike-belt-drive-28-zoll/p244962, dass sie ein Rad ohne Gangschaltung ("Singlespeedbike", das ist weder Deutsch noch Englisch noch witzig) mit zwei Gängen zum Kauf anbieten. Dennoch verstehen wir, was gemeint ist: ein Rad, dem seine Gangschaltung nicht anzusehen ist, das aber dennoch über eine Zweigang-Schaltung verfügt. Und doch bleibt der Lidl-Text Unsinn, ebenso wie der Text der Vertriebsfirma Prophete:
"Ab heute konzentrieren Sie sich auf den Verkehr [...], während das Singlespeedbike für Sie [...] schaltet."
Ein Rad ohne Gänge, das schaltet! In der Lidlschen Mathematik sind eins und zwei identisch. Damit schließt sie auf zur allerhöchsten Rechenkunst, dann auch die "Eulersche Zahl  ist eine transzendente (Beweis nach Charles Hermite, 1873) und damit irrationale Zahl (Beweis)" (Wikipedia).




Oben: Hier wäre es schön, einen richtigen Gedankenstrich zu verwenden: —. Und die Anführungszeichen wegzulassen: Danke, Onkel Autor, wir wissen schon, was "urban" bedeutet.
Oben: Im Namen des Herren und der Redaktion ... Ist "Leser LIKEN aktiv Radfahren!" nicht der irrste Satz, den die deutsche Sprache je ertragen musste?

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