29 Juni 2017

Randy Schekman, Nobelpreisträger

"Schekman: Ich glaube an den freien Markt. Ich bin Kapitalist. Wenn kommerzielle Verlage tatsächlich das bessere Produkt machen, habe ich nichts dagegen. Aber ich glaube, dass kommerzielle Interessen hier der Wissenschaft schaden. Ich habe in meiner Karriere die Erfahrung gemacht, dass die Magazine am besten waren, die von aktiven Wissenschaftlern geleitet wurden. Statt des Profits für die Shareholder steht dann nämlich der Nutzen für die Wissenschaft im Vordergrund."

Spiegel Online, http://www.spiegel.de/wissenschaft/medizin/nobelpreistraeger-randy-schekman-kritisiert-science-und-nature-a-1154483.html 

Man ersetze "aktive Wissenschaftler" durch "Fahrradtechniker" oder "Radsportler", und schon trifft das Gesagte auch auf Radmagazine wie "Tour" zu. Sie schaden dem Radfahren, weil sie den Alltagsfahrer dazu überreden wollen, sich wie ein Spitzensportler auszustatten. Aber man muss nicht zum Fred und überdies arm werden, um angenehm radeln zu können. Nutzen und Freude beginnen bereits beim frisch geölten Gebrauchtrad. Das Konsumieren von überspannten Rennradkomponenten außerhalb der Tour de France ist ebenso peinlich wie unnötig.

14 Juni 2017

Fremdgesteuert

Nach zehn Jahren in Schweden kann ich guten Gewissens (und 100% evidenzbasiert sagen), dass ich außerhalb Asiens noch kein Land erlebt habe, in dem die Bevölkerung einheitlicher ausgestattet ist. Im Café schreiben alle, ausnahmslos, auf Apple-Notebooks oder iPads. Kein Land hat mehr iPhone-Nutzer, und Radpendler sind bunte Clowns voller Signalstreifen auf Lycra und Nylon. Normalbekleidung beim Radfahren in Stockholm? Die ganz große Ausnahme. Ich und fünf andere. Das war's. Alle anderen sind gleichgeschaltet und anscheinend glücklich in ihrer firmengesteuerten Uniformität.

Nun weiß ich natürlich auch, dass Individualität eine Illusion und lediglich eine Frage des Blickwinkels ist. Für einen frisch gelandeten Marsianer sehen wir ohnehin alle gleich aus. Ich selbst lege keinen Wert darauf, mich auf irgendeine Art von meinen Mitmenschen abzuheben. Aber mir tun alle Leid, denen das Geld für verzichtbare Mätzchen aus der Tasche gezogen wird. Fahrradtaschen für 200 Euro und Jerseys für 120 gehören da eindeutig mit dazu. So wie technische Spielereien, die, was die Ingenieurskunst angeht, durchaus beeindruckend sind, die das Radfahren an sich aber nicht besser oder schöner machen. Ein Beispiel gefällig? Gerne.
Doppelmoppel. Der langersehnte Mechanik-Hydraulik-Konverter ist da! Trickstuff führt Rennlenker und hydraulische Scheibenbremse zusammen.
Endlich ist es möglich, Rennlenker und Bremsschalthebel mit leistungsfähigen, witterungsunabhängigen und fein dosierbaren Scheibenbremsen zu kombinieren.
Doppelmoppel-Komplettset mit CLEG 2 Bremssätteln: 710,- Euro
[Schreibfehler wurden stillschweigend korrigiert.]
Um mein Mantra zu wiederholen: Muss man nicht haben, echt nich'.

13 Juni 2017

Mannheim verändert die Welt

Keine Stadt hat folgenreichere Erfindungen hervorgebracht als Mannheim. Ohne Karl Drais und Karl Benz und ihre in Mannheim entwickelten Zwei- (Laufmaschine, 1817),  Drei- und Vierräder (Velociped, 1894) würden wir heute auch in Städten ein buchstäblich ruhiges Leben führen, mit Straßen, die sich "einfach nur so" überqueren ließen. "Einfach nur so" drückt etwas aus, was man sich heute kaum noch vorstellen kann: Straßen und Wege, die nicht rechts und links mit Autos zugestellt sind; Plätze, die nicht voller Autos stehen; und Menschen, die ohne nach rechts oder links schauen zu müssen jederzeit über die Straße gehen können, an jeder beliebigen Stelle, ohne Ampeln, ohne Zebrastreifen, ohne Warten, ohne Angst.

Doch nicht nur Lärm, Raserei und Abgase stören, auch ästhetisch sind die Automassen kaum zu ertragen. Das Zuparken des öffentlichen Raums lässt keinen Ort ohne Autos. Zweispurige Straßen in der Stadt sind, richtig betrachtet, vierspurig: zwei Parkspuren, zwei zum Fahren.

In nur 100 Jahren hat das Auto die Lebensqualität in unseren Städten dramatisch gesenkt und zum Ausgleich die Luftverschmutzung gewaltig erhöht. Versuche, das Auto zu verbannen, scheitern sogar in Oslo: https://www.theguardian.com/cities/series/guardian-cities-cycle-week

Karl Drais also mitschuldig am Lärm der Autos, am Brausen der Autobahnen, das auch noch 40 km windabwärts zu hören ist? Nein, nicht persönlich, wohl aber indirekt als Wegbereiter einer verhängnisvollen Technologisierung des Personentransports, die sich mit Wucht auf Verbrennungsmotoren warf. So ist es kein Zufall, dass sich Benz für sein "Velociped" aus der Fahrradteilekiste seiner Zeit bedient. Der Fahrradfahrer von damals war, ohne es auch nur zu ahnen, der apokalyptische Voreiter der BMW-Raser von heute.

05 Juni 2017

Scheibenkleisterbremsen

Scheibenbremsen am Fahrrad sind ein idiotischer Luxus. Schwer zu warten, schon beim Kauf oft mit verbogenen Brems-Discs geliefert (und folglich schleifend), sind Scheibenbremsen ein ebenso großes Ärgernis wie ihr Cousin, der Aheadset-Steuersatz: von beiden relativen Neuerungen profitieren nur Fabrikanten und Händler.

Besonders dreist scheint mir der Einbau von Scheibenbremsen in Mountain- und Gravel-Bikes. Hier, wo schnelle und einfache Reparaturen zentral sind, machen Scheibenbremsen alles schlechter, auch wenn, denn das ist der einzige Pluspunkt, die Felgenflanke vom Abrieb verschont bleibt. Der Austausch der brake pads ist und bleibt ein diffiziles, zeitraubendes Unterfangen, und bei verbogenen Discs hilft nur teures Spezialwerkzeug.

Kommentaren in der Fachpresse solltet Ihr keinen Glauben schenken. "Scheibenbremsen benötigen keinen erhöhten Wartungsaufwand." Stimmt einfach nicht, das weiß auch mein Freund und Fahrradhändler Hardy.

Finger weg von der Scheibenbremse, wenn Ihr in vertretbarer Zeit selbst eure Bremsen warten wollt.

Wenn man mir immer noch keinen Glauben schenken will, höre man wenigstens auf Eben Weiss, der in seinem Blog Bike Snob NYC am 6. Juni 2017 schreibt:
I don't care for the crabon, I think rim brakes on road bikes work just fine thankyouverymuch, and I prefer a quick release skewer to a thru-axle even on my mountaining bikes.
Wem sich der Sprachwitz verschließt: crabon ist Carbon (crab-on verweist auf crap, Kacke), thankyouverymuch ist ein zurückweisendes "Schönen Dank auch", und was "mountaining bike" bedeutet, sollte sich auch so herausfinden lassen, MTB nämlich.

Radperle, Radpleite

Unter einer Zweiradperle (http://www.zweiradperle.hamburg/) hatte ich mir schönere Räder und ein besseres Café vorgestellt. Das "erste Fahrrad Café Hamburgs" war eine Enttäuschung und die lange Anreise nicht wert. Die üblichen überteuerten Hipster-Bikes (Electra) aus Taiwan und China, alles sehr kommerziell und kalt. Keine Liebe zu spüren.

Dazu der Besitzer (Willi Wall), der ein gebrauchtes Marin mit Riemenantrieb anpries ("Das ist mein Rad, bin damit nur 50 km gefahren, kein Kratzer, ich mach' dir einen guten Preis"). Der "gute Preis" war noch immer vierstellig, was mir völlig absurd für ein Rad dieser Baureihe schien.

Ich habe nicht mal ein Foto gemacht, weil es mir der Laden nicht wert war. Two thumbs down.

Da lobe ich mir Suicycles (http://suicycle-store.com/). Engagiert. Sehr persönlich. Kompetent. Und mit Hagen Wechsel ein eigener Rahmenbauer. Made in Hamburg anstatt Made in China. Gute Sache, sowas.

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Weshalb Radkritik?