23 Mai 2017

Dieses Faltrad ist gut, trotz seines Preises

Gut und günstig ist keine häufig anzutreffende Kombination, doch das preiswerte Pininfarina-Faltrad (siehe auch Franz Maniagos Flickr-Bild) ist beides: qualitativ recht gut und dabei preislich so angesiedelt wie ein Abendessen im Restaurant. Der Radkritiker hat selbst ein Pininfarina, gebraucht gekauft für nicht einmal 60 Euro.

Der Alurahmen und Faltmechanismus des Pininfarina sind baugleich mit dem Dahon Espresso, das 2011 für knapp 500 Euro feilgeboten wurde und, abgesehen von etwas ausgefeilteren Ausfallenden und dicken Big Apple-Reifen, wenig Unterschiede zum Pininfarina aufweist.

Nach dem Kauf sollte das Rad, auch wenn es neu ist, wie ein Gebrauchtrad behandelt und umgehend nachgefettet und justiert werden. Dann aber wird es seinem Besitzer auf Dauer gute Dienste leisten.

Selbst der hintere Umwerfer, der oft geschmähte Shimano Altus RD-M310 („Die zweitschlechteste Gruppe von Shimano", plappern die Nullchecker, ohne auch nur eine Sekunde nachgedacht zu haben), ist laut Fachmann Grant Petersen ein Preis- und Qualitätswunder:
The best-designed rear derailer [derailleur] in existence, and only $28. The bigger pulleys use up more chain, so the derailer cage that houses them don't need to be as long and low-hangy. Plus, the bigger pulleys turn more freely. There is no reason on godsgoodearth that all derailers shouldn't have big pulleys, and maybe someday they will. But for now it's the ALTUS, a super-shifting Shimano for only $28.
Mit dem Pininfarina-Designstudio wird dieses Pininfarina-Rad eher wenig zu tun haben, trotz der Anzeigen, die es als "Designer-Fahrrad" anpreisen. Klar, irgendjemand muss es ja entworfen, aber das wird wohl eher ein Ingenieur von Dahon gewesen sein denn ein Designer von Pininfarina. Von dort kommt wahrscheinlich nur der Rahmenrohraufkleber, was zwar Lizenzgebühren nach Italien fließen lässt, das Rad aber noch lange nicht in den Pantheon italienischen Designs erhebt. Doch das stört keinen großen Geist. Das Pininfarina fährt und faltet sich auch so ganz wunderbar, und schafft es, wie im Bild oben zu erkennen ist, sogar bis auf den Gipfel des Mt. Ventoux.

"Das Gute wird wegdiskriminiert"

Der Radkritiker gibt hier recht und verweist zugleich auf den aktuellen Fahrradmarkt. Denn was E. Prade laut Spiegel Online über die Entwicklung von Windsurfbrettern sagt, gilt entsprechend ebenso für den Fahrradmarkt:

"Die Bretter werden in den Achtzigern immer kürzer, leichter, wendiger. 'Funboards' heißen sie, und mit ihnen lässt sich spektakulär springen. 'Alle Magazine druckten nur noch Bilder von Loopings in Wellen und wahnwitzigen Sprüngen in Hawaii. Das war ein Riesenfehler', sagt Prade. 'Wer noch mit den alten Langbrettern surfte, wurde plötzlich wegdiskriminiert.'

Wer ein Stahlrad mit Dreigangschaltung fährt, fühlt sich ähnlich wegdiskriminiert. Gehypt wird rollendes Tour de France-Material, Carbonrenner, E-Bikes ab 3000 Euro, und zuweilen auch ein Vintage-Rennrad mit viel Bling für die Hipster. Für die finanziell angespannteren Kunden gibt es ein Fixed-Gear aus China oder ein Single-Speed aus derselben Ecke der Welt.

Auch hier merken die meisten schnell, dass "Fun" meistens verflixt unpraktisch ist. Schutzbleche sind nicht nur im Regen etwas Feines, und wer den Rucksack auf den Gepäckträger schnallt, vermeidet einen verschwitzten Rücken.

22 Mai 2017

Die Weisheit liegt im Blick zurück

Die meisten Radzeitschriften sind für mich nur noch aus der zeitlichen Distanz von mindestens fünf Jahren zu ertragen, wenn der Geruch der Werbepostille zwangsläufig verflogen ist, weil die vorgestellten Produkte längst vom Markt verschwunden sind. Dann ist es mir auch egal ist, dass im "Test" (gerne im "Testlabor" durchgeführt) alle nur das Prädikat "gut" oder "sehr gut" erhalten. Nicht schön, wenn der Intellekt der Leser auf Dauer so beleidigt wird.

Wie wenig es bedarf, ein glücklicher Radfahrer zu sein, beweisen die Menschen, die sich alte Räder reparieren. Wenn sie nun noch eine anständige Radwegestruktur vorfänden, wäre Radfahren ein Genuss, auch mit dem ältesten Hobel.

Rennrad von Raleigh aus dem Jahr 1980. Fährt richtig gut. Kostet richtig wenig.

Kleines weltfremdes, aber schönes Gedankenexperiment: man stelle sich eine Stadt vor, in der nicht ein einziges Auto fährt. Dann kommen Radfahrer auch mit einer alten Dreigangschaltung gut, sicher und stressfrei voran: It's not about the bicycle, it's all about making room for bicycles.

Und auf diese Fragestellung antworten Zeitschriften wie Bike Bild leider nur begrenzt, auch wenn sich in der Ausgabe 2/2017 gleich zwei löbliche Artikel zu diesem Thema finden. Im Normalfall ist die Antwort der Fahrradpresse aber diese: Macht einen schönen Ausflug ins Grüne oder kauft euch neues Rad, gerne auch ein Lasten- oder E-Bike, dann ist alles prima. Das entspricht den Versprechungen der Werbung: Greif zu Produkt XYZ, dann riechst du gut, siehst toll aus, alle mögen dich und bleibst/wirst gesund/glücklich. Individueller Konsum statt wahrer Verbesserung.

Die Neuradbesitzerin merkt nach dem Kauf sehr schnell, dass in unseren Städten ein Rad für 3 000 Euro nur marginal besser fährt als ein ordentlich restauriertes für 50 Mückis. Einmal auf dem Kaufrausch erwacht, ist nichts besser geworden. Nur das Geld ist weniger und die Angst vor einem Diebstahl ist größer.

21 Mai 2017

Weshalb Radkritik?

Weshalb also Radkritik?

Weil eine gute Fahrradinfrastruktur für das Radeln mehr leistet als ein tolles neues Rad für Tausende von Euros. Der Spaß kommt nicht vom Rad, sondern wächst aus der Freude, ohne Autobelästigung (Lärm, Abgase, Gefahr, Platzmangel) fahren zu können. Dann ist ein altes Hollandrad ebenso schön wie ein schickes café-racer bike.

Weil jede Großstadt inzwischen drei Fahrradcafés hat, die allesamt ihren Namen nicht verdienen. 

Weil die Industrie das Rad nicht als vernünftiges Verkehrsmittel vermarktet, sondern als Sportgerät oder Zeitgeistvehikel.

Weil die Industrie es schafft, EUR 10 000 für Produkte zu verlangen, die keinen wirklichen Gebrauchswert haben. Selbst 1 000 Euro wären noch zu viel für diese Einweg-Plastikhobel.

Weil es gute und günstige Alternativen zu den aktuellen Industrieangeboten gibt. 

Weil die Städte und Kommunen sich radfreundlich geben, aber viel zu wenig tun, um ihren Worten auch Taten folgen zu lassen. Schlechte Wege für Radler sind die Norm. Innenstädte für Autos sperren? Gute Idee, aber um Himmels Willen, bei uns doch nicht!

Weil in Deutschland zu viele Arbeitsplätze vom Auto abhängen. Weil die Autoindustrie gepäppelt wird, die Radfahren in den Mond gucken. Wann kommt die Abwrackprämie für Fahrräder?

Weil die Übertechnisierung des Fahrrads (Carbon, Scheibenbremsen, elektronische Schaltung, e-Bikes) den Radfahrern Freiheit und Selbstbestimmtheit nimmt. Konnten wir früher selbst reparieren, gelingt uns das heute erst nach dem Wälzen von viel Fachliteratur oder nach dem augapfelschmerzenden Betrachten von wackligen YouTube-Videos. Vom Spezialwerkzeug ganz zu schweigen. Die Elektrifizierung des Rades vergrößert unsere Abhängigkeit, weil es wie ein Auto oder Motorrad dauernd den Fachbetrieb benötigt. Auch e-Bikes sind Teil der Motorisierung und nicht wirklich umweltfreundlich.

Weil wir uns nur schwer den Werbebotschaften entziehen können und Hilfe benötigen. Was brauchen wir wirklich für unsere Mobilität? Wer lange genug Bike Bild liest, glaubt am Ende wirklich, dass er oder sie ein E-Rad haben muss. Oder einen Carbon-Renner auf Tour-Nieveau. Oder ein Gravel-Bike. Nein, muss man nicht. Muss man wirklich nicht. Echt nicht.

Eigentlich sollte man meinen, dass Radfahren eine derart ideale Verbindung von Neigung und Verstand darstellt, dass es keiner weiteren Erklärungen bedarf: Man fährt Rad, weil es vernünftig ist. Es macht Freude, es ist günstig, man kommt gut von A nach B: eine rundum vernünftige Sache, die erst dann ins Lächerliche kippt, wenn Rad und Fahrer sich nach den Bildern der Werbung stylen.

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