28 Oktober 2017

Are you ready, Eddie?

Ghost 'Square Cross 2' (2017)
Ich bin in der überaus glücklichen Lage, ohne Einsatz finanzieller Mittel ein Fahrrad der Marke Ghost aus Waldsassen mein Eigen nennen zu dürfen. Es lag wochenlang am Straßenrand, versunken im herbstlichen Matsch einer Stockholmer Vorstadt, bis ich mich erbarmte, es mit nach Hause brachte und unter der Dusche vom gröbsten Dreck befreite.

Inzwischen ist das Rad fahrbereit — ich musste die Laufräder richten, einen Sattel kaufen und allerlei Feineinstellungen vornehmen —, und mir bleibt nun Zeit, eine kleine Recherche zum Hersteller anzustellen. Ghost Bikes, so lese ich, gehört seit 2008 zur niederländischen Accell-Gruppe, produziert aber 70% seiner Räder in Deutschland, zusammengebaut aus asiatischen Teilen, versteht sich.

Ein großer Fan der unübersichtlichen Webseite werde ich nicht werden, aber immerhin findet man dort alles, was man braucht, als Download: Kataloge, Gebrauchsanweisungen, kurioses Deutsch-Englisch und unterbelichtete Fotos von anthrazitfarbigen Rädern: Den Screenshot oben musste ich deutlich aufhellen, ansonsten wäre das Rad (laut Katalog "nightblack/riotgreen") in ein undefinierbares Tiefschwarz getaucht.

Richtig lustig sind dann die Features, mit denen das Ghost Square beworben wird: Tatsächlich gelingt Ghost das Kunststück, etwas, das nicht vorhanden ist, als Feature (Merkmal, Eigenschaft) anzupreisen. Dass das Square Cross 2 keine Schutzbleche und keinen Flaschenhalter hat, gilt bei den Marketing-Leuten als bedeutsamer Vorzug, denn — und hier schlägt die Logik Purzelbäume — das Rad kann ja nachträglich noch mit Schutzblechen und Flaschenhalter ausgestattet werden. Tolles Alleinstellungsmerkmal, oder? Ein Rad, an das man Schutzbleche schrauben kann. Geiles Feature, Alter, ey! Am besten gleich alles weglassen: wheel ready, saddle ready, chain ready. Lässt sich doch alles easy nachrüsten!

Damit diese Dreistigkeit nicht sofort auffällt, verstecken die Waldsassener Werber alles hinter ein paar englischen Vokabeln, die sie wahrscheinlich bei Specialized oder Trek aufgeschnappt haben: Das Bike habe den Vorzug, "bottle holder and mudguard ready" zu sein (vorbereitet zur Montage von Flaschenhalter und Schutzblechen).

Umgekehrt hätte ich deutlich mehr Spaß im nassen schwedischen Herbst: Flaschenhalter und Schutzbleche lassen sich leicht wieder entfernen. Das wäre mal ein echtes Feature. Zumal beide Artikel für Ghost zusammen kaum mehr als 5 Euro kosten würden. Bei einem Rad mit einem Listenpreis von rund 600 Euro durchaus machbar, meine ich.

Im Katalogtext sollte Ghost wieder zur Normalsprache zurückfinden. Gefallen ließe ich mir "fender mounts" oder "mudguard mounts", also Befestigungspunkte (Ösen, Augen) für Schutzblechstreben.

So, wie es jetzt zu lesen ist, fühlt man sich veräppelt. Ein Manko als "Feature" auszugeben, ist einfach nur frech.

'Mudguard ready' is not a 'feature': Ghost and the 'Square Cross' series
Quelle: https://www.ghost-bikes.com/en/bikes/lanes-road/bike/square-cross-2/ [aufgerufen am 27. Oktober 2017]

Legends of Steel – Passion Vintage: Rennen, Räder und Rouleure

Stiller B. Legends of Steel – Passion Vintage: Rennen, Räder und Rouleure. Bielefeld: Delius-Klasing; 2015. 176 Seiten.

Das Schreiben von Vignetten ist durchaus legitim. Doch die Kurzform erfordert Prägnanz, Stil, Geist. Ein bebildertes Büchlein mit holprigen Schüleraufsatz wie es Stiller vorlegt, ist den "Legends of Steel" kaum angemessen. Selbst der englische Titel ist irreführend. Es sind Begegnungen mit fahrradbegeisterten Menschen, die Bengt Stiller hier beschreibt. Von Legenden keine Spur.

Die Beschreibungen dieser Begegnungen sind kurz – bei Alberto Masi in Mailand wird er schnell wieder vor die Tür gesetzt, ohne auch nur die Werkstatt gesehen zu haben –, und in den Kapiteln ParisRoubaix und L'Eroica geht es um Amateurfahrten, die gegen saftige Anmeldegebühren ein zweifelhaftes Gruppenerlebnis bieten. Doch auch hier kommt kein kritisches Wort über die Lippen des Autors, der sich durchaus einmal fragen sollte, ob dieser Zirkus wirklich Hunderte von Euros wert ist.

Am Ende blicke ich wieder auf das wirre, sprunghafte Vorwort, das der Autor mit "Very very hungry" überschreibt. Hungrig bleibt auch der Leser zurück, denn das Buch bietet kaum Lesefutter: nur etwa 20 Textseiten finden sich in dem 176-seitigen Band. Zuckerwatte zum Preis von immerhin 40 Euro. Der Hunger bleibt. Very very much.

21 Oktober 2017

Privilegien für die Reichen? Bitte, gerne.

Ihr dürft sie gerne wieder einführen, die Privilegien der Reichen. Das ist wenig demokratisch, aber gut für die Umwelt. Seit Hinz und Kunz Auto fahren und dreimal im Jahr in Urlaub fliegen, geht es richtig schnell bergab mit dem Planeten. Würden in Deutschland nur die Reichsten Auto fahren, wäre die Luft besser, die Straßen leer.

Ganz ehrlich: ich hätte kein Problem damit, wenn Autos und Flugreisen nur von denen konsumiert würden, die reich und fett sind: 1,2 Millionen Millionäre, die fliegen und Auto fahren, alle anderen lassen es bleiben. Angenehmer Nebeneffekt: Urlaub machen, wo es still und ruhig ist, wo man prima radfahren kann, wo die Luft gut ist, geht dann im ganzen Land. Keine Angst mehr, überfahren zu werden.

Klar, die Lieferwagen werden weiter liefen, aber das geht schon bald elektrisch und emissionsfrei.

Glück geht auch ohne Auto.


14 Oktober 2017

Kabelführung

Though the braze-on mounts are more practical in many ways, I do prefer the clamps. They speak well to the vintage appeal of an old road bike. 
www.mytenspeeds.com

Wenden wir uns einmal kurz ab von der grausigen Fahrradpresse und werfen einen Blick auf Vintage-Räder. Ich schreibe bewusst "vintage", denn dieses englische Wort bezeichnet sowohl den Jahrgang eines Weins (1968? Good vintage!) als auch Gegenstände, die noch lange nicht antik sind, wohl aber aus der Vergangenheit stammen und von guter Qualität sind, so gut, dass sie auch heute noch mit der Konkurrenz mithalten können.

Ein Vintage-Rad ist also kein Retro-Rad, auch wenn eBay-Anzeigen diese Begriffe kunterbunt durcheinanderwerfen. Letzteres ist auf alt getrimmt, imitiert Form und Bauart einer früheren Ära, nutzt dabei aber durchaus neue Technik.

Komischerweise ist ein Rennrad für mich erst dann richtig alt, wenn der Bremszug am Oberrohr nicht durch angelötete Führungen verläuft, sondern mit verchromten Schellen befestigt ist. Ende der 1970er wurden nahezu alle Rennräder ihrer Schellen beraubt. Stattdessen gab es drei angelötete Führungen, durch die das Bremskabel gezogen wurde. Wer sein Rad öfter draußen ließ, hatte bald Rost an diesen Schwachpunkten. Bei Rädern mit Schellen war das nicht anders, doch neue Schellen ließen sich schnell montieren, und der Makel war beseitigt.

Unten: Man sieht, dass man nichts sieht. Reichlich Platz für glänzende Schellen am Oberrohr.

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Weshalb Radkritik?