
Kitsch auch bei Hugendubel: das hat das Fahrrad nicht verdient

Ein Bianchi, in celeste, als Blickfang in einer Lüneburger Apotheke; ein grün überlackiertes Hollandrad, komplett mit Weidenkorb für Biomarkt-Werbeflyer; und, natürlich, ein Vintage-Rad an der Wand einer hippen Kneipe oder eines übercoolen Friseursalons. Durchweg Räder, die ihrer Funktion entzogen wurden. Ein Hauch von Marcel Duchamp, dessen erstes Readymade (1913) ein Fahrrad-Vorderrad auf einem Hocker war, weht durch unsere Innenstädte, und ich weiß nicht, ob ich erst kotzen oder erst einmal die Idiotie der Aufsteller betrauern soll.
Natürlich lässt sich ein Rad auch als Kunsthandwerk begreifen, meinetwegen auch als Kunstwerk. Aber davon auszugehen, dass ein Rad per se gut ist und von allen Betrachtern sofort jubelnd als mechanisches Gegenstück zu süßen Hundewelpen gesehen wird, zeugt kaum von überragendem Werbetalent. Das dürfte Karl Kraus (1936 von einem Radfahrer attackiert) kaum anders gedeutet haben. Das Fahrrad immer und immer wieder als Sinnbild des Guten zu verstehen, ist ebenso verkehrt wie es automatisch dem Verkehrsrowdytum zuzuordnen. Nicht ganz zurückweisen lässt sich allerdings der Verweis auf die militärische Verwendung (Waffenrad, Klapprad für Fallschirmspringer). Also erst mal Essig mit der Blümchen- und Welpenwelt.
Die Ghost-Bikes, die u.a. in Berlin tödliche Fahrradunfälle mahnend an uns herantragen, sind ästhetisch leider komplett unakzeptabel. Schrott bleibt Schrott, auch wenn er mit einer Message befrachtet ist. Schlimmer noch: durch die Botschaft wandelt er sich zum Kitsch. So wie die Mini-Mahnmale am Straßenrand, die den Schmerz der Zurückbleibenden über einen Auto- oder Motorradtoten markieren, so präsentieren sich die Ghost-Bikes als ein Stück Kitsch, das die Wahrhaftigkeit des Schmerzes mit Plastikblümchen, LED-Kerzen und Tweets entwürdigt. Schon deswegen sollten Ghost-Bikes schnellstmöglich einer Recyclingzentrale zugeführt werden. So wie die vielen Grabkreuze am Wegesrand, denn auch die haben nur einen Effekt, die Vermüllung des öffentlichen Raums voranzutreiben.
"Je mehr Mahnmale, desto weniger fühlen sich die Menschen betroffen. Jedes Denkmal legt Erinnerungen für immer ad acta." (Walter Kempowski)
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